Daniel SchalerComment

„Zwischen Anarchie und Kunstblut“ – Ein Gespräch mit Renate „Funky“ Danninger: Drahdiwaberl-Urgestein

Daniel SchalerComment
„Zwischen Anarchie und Kunstblut“ – Ein Gespräch mit Renate „Funky“ Danninger: Drahdiwaberl-Urgestein

Wien, Spätsommer. Im Schutzhaus Zukunft auf der Schmelz treffe ich Renate “Funky” Danninger. Einst eine der schillerndsten Figuren der österreichischen Kultband Drahdiwaberl, stand sie als Performerin und Akteurin auf der Bühne und prägte die Szene maßgeblich. Die Band, die in den 70ern, 80ern und 90ern alles sprengte, was brav und bürgerlich war – und dabei Nacktheit, Kunstblut und Provokation zur Kunstform erhob. Heute wirkt Funky entspannt, fast unauffällig. Aber sobald das Gespräch auf die wilden Jahre kommt, blitzt dieser alte Wahnsinn in ihren Augen wieder auf. Ein Gespräch über Skandal als Pflichtübung, Männer mit Klobesen, Wiener Aktionismus – und warum Drahdiwaberl ohne Wien nie existiert hätte.

Als du damals mit Drahdiwaberl auf der Bühne standest, war alles ein radikaler Bruch mit dem Mainstream. Wenn du heute zurückblickst: War es pure Anarchie oder steckte ein Masterplan dahinter?

Es war hochpolitisch, gesellschaftskritisch, links. Es ist zwar nicht immer von Medien und Publikum gesehen worden – nur die Nackerten – aber Stefan war hochpolitisch. Die Lieder waren, wenn du genau hinhörst auch sehr kritisch.

Wie viel davon war kalkulierter Skandal?

Na, schon sehr viel. Einmal, auf Tour, hielt Stefan eine Rede im Bus. Da mussten wir natürlich alle aufpassen und brav zuhören. Also sagt er:
„Und heute beim Mulatschag – alle, die nicht budern, dürfen nicht mehr mit heim fahren im Bus!“
Ich dachte nur: Na, heute ist er aber streng. Nein – das war einfach seine Art zu sagen: Reißt euch zusammen und macht einen ordentlichen Skandal.

Also Skandal war Programm?

Ja, auf jeden Fall. Ich hatte einen Mulatschag erlebt, da war echt nichts los. Also hab ich mich halt erbarmt, mich ausgezogen und bin nackert herumgehupft. Dann ist es losgegangen, und die Party ging ab. Stefan meinte nur:
„Danke, Funky, wenn du nicht gewesen wärst, die hätten alle geschlafen!“

Eure Shows waren berüchtigt für Chaos, Nacktheit und politische Statements. Gab es einen Moment, in dem du dachtest: Das wird jetzt zu viel?

Naaa, i bin die Funky – sowas hab ich mir nie gedacht. Ehrlich gesagt: Ich bin ein Kind vom Wiener Aktionismus, ich kenne einen Otto Mühl. Ich bin so aufgewachsen.

Otto wer?

Otto Mühl, den kennst du nicht?

Nein, leider. Aber erzähl mal!

Die haben versucht, freie Liebe zu leben. Die sind dann ins Burgenland gezogen. Aber das wurde dann doch etwas autoritär. Man musste sich die Haare schneiden und so. Jeder mit Glatze – und alle mussten ihr ganzes Geld abgeben. Fast wie eine Sekte. Ich war mal drei Tage dort. Ich musste mir die Haare nicht schneiden – hätte ich auch nie getan. Aber ich bin dann wieder gegangen. Mir war das zu streng dort.
Wie gesagt: Mir war nie etwas zu viel oder zu provokant. Auch im Theater – ich hab bei Hubsi Kramar gespielt. Wir hatten ein reines Frauenstück, und ich wollte erotische Gedichte unter der Burka vortragen. Das durfte ich dann aber nicht. Irgendwie schade drum. Ich war schon auf der Suche nach einer Burka, wollte mir schon selber eine nähen.

Also kein bisschen Angst – eher die Lust am nächsten Tabubruch?

Naja, es war eigentlich eine reine Therapiegruppe. Die größte Therapiegruppe, die ich je gesehen habe. Irgendeine Macke hat ja jeder – und hier konnte man sie so richtig ausleben.

Welche Macken hast du denn ausleben können?

Meine ganze Überenergie, die ich da so hab. Wenn ich alleine daheim bin, bin ich eh nicht so. Aber wehe, ich werd in die freie Welt losgelassen – dann rennt das Viech schon.

Wie war es eigentlich, in einer Szene zu bestehen, die damals extrem männerdominiert war? Hast du jemals das Gefühl gehabt, du musstest doppelt so laut schreien, um gehört zu werden?

Bei Drahdiwaberl war das ganz leicht. Da gab’s nie Probleme. Ich hab mich ja von ganz unten hochgedient. Ich war voller Ehrfurcht und dachte: Ich kann ja nicht gleich in die wichtigsten Nummern reinspringen. Das tut man ned.
Drahdiwaberl hat ja die Bühne immer recht beschmutzt, man hat nach jeder Nummer die Bühne putzen müssen. Ich hab mir halt ein riesiges Hemd angezogen, Gummistiefel, Gummihandschuhe – und bin mit dem Hexenbesen kehren gegangen. Und alle haben geschrien:
„Ausziehen! Ausziehen!“
Wenn das etwas sexistisch ist – naja, das muss man halt aushalten.

Hat dir irgendwer mal ins Gesicht gesagt: „Das ist nix für Weiber“ – und wenn ja, wie hast du zurückgeschossen?

Mit solchen Leuten hab ich nie verkehrt. Der Einzige, der mal was gesagt hatte, war mein damaliger Freund – der war nicht wirklich damit einverstanden.

Erzähl mir noch eine Geschichte, die dir nicht mehr aus dem Kopf geht.

Da fällt mir ein ganz besonderer Tag mit gleich zwei Geschichten ein. Die erste spielt in Klagenfurt: Wir haben dort eine Lesung von Erwin Leder gesprengt. Wir waren etwa 30 Leute, haben uns um nichts geschert und sind einfach laut hineingestürmt. Furchtbar, könnte man sagen – wir haben die Kärntner aufgemischt. Der arme Erwin saß nur da, und ich dachte: Jetzt könnte er vielleicht böse sein. Aber gar nicht! Stattdessen ist er sogar mit uns um die Häuser gezogen, war auf der Bühne mit uns und hat mitgespielt.

Die zweite Geschichte begann schon auf dem Weg von Wien nach Klagenfurt. Stefan fiel ein, dass er seinen Klobesen vergessen hatte – er trug ihn ja immer wie ein Zepter bei sich. Wir machten Halt an einer Tankstelle, und ich habe kurzerhand einen vom Klo mitgehen lassen. Ich dachte mir, die Tankstellenpächter werden das schon verkraften. Stefan war überglücklich: “Hurra, mein Klobesen!
Für diese Show wurden wir von einer sehr feschen Frau mit wunderschönem, langem, roten Haar engagiert. Als wir gespielt haben, hat sie sich vor lauter Begeisterung diesen gebrauchten Klobesen ins Haar gewickelt. Wir haben uns nur alle weggedreht – keiner hat sich getraut, ihr zu sagen, dass der Besen Gebrauchsspuren aufweist. Ja, bei Drahdiwaberl musst du vorsichtig sein.

Viele sagen, Drahdiwaberl war mehr als eine Band – eher ein soziales Experiment. Wenn du’s auf drei Worte runterbrechen müsstest: Was war der Spirit von Drahdiwaberl?

Schock. Rock. Theater.

Was ist das Drahdiwaberl-Gen, das niemand kopieren kann?

Das hat irrsinnig viel mit dem Wiener Gen zu tun. Ohne Wien, kein Drahdiwaberl. Die ganze Geschichte hat einfach einen tiefen Wiener Ursprung: Verzweiflung, alles ein wenig drüber – und „ist eh alles nicht so oarg“.

Heute, Jahrzehnte später, werden Drahdiwaberl-Songs auf Partys gefeiert und auf Vinyl gesammelt. Findest du das cool – oder macht dich diese Retro-Nostalgie eher wahnsinnig?

Ich denke, dass Drahdiwaberl nach wie vor für das Land sehr wichtig ist. Ich bin mir sicher, die Menschen brauchen das einfach. Das ist so wichtig wie Qualtinger – die brauchen das. Den Leuten den Spiegel vorhalten.
Also unterm Strich finde ich die Nostalgie gut und notwendig. Sonst hätte ich ja gar nicht mit dir reden brauchen.

Sei ehrlich: Wenn du die TikTok-Kids zu „Mulatschag“ tanzen siehst – willst du sie adoptieren oder ihnen eine Watschn geben?

Ich kenne das ehrlich gesagt gar nicht. Aber ja, ich mag das, wenn junge Leute sich für Drahdiwaberl interessieren. Also, adoptieren und keine Watschen.

Als ich das Aufnahmegerät ausschalte, lehnt sich Funky zurück, zündet sich eine Zigarette an und grinst:
„Weißt du, was das Schönste ist? Dass wir damals alles getan haben, um keine Legende zu werden – und genau das hat uns legendär gemacht.“